Kulturlandschaftsmuseum Grenzerfahrung

PNP: Leopoldsreut - die Geschichte eines untergegangenen Dorfes , 12. September 2008

Passauer Neue Presse

Leopoldsreut - die Geschichte eines untergegangenen Dorfes

Emerez Meier wurde mit ihrem Gedicht "Wödaschwüln" in der überarbeiteten Dokumentation verewigt

Filmemacher Peter Reichardt

Filmemacher Peter Reichardt (von links.), seine in Leopoldsreut geborene Großmutter Stilla Moritz, ihr Ehemann Ludwig und Organisator Erich Dorner vor der St.-epomuk-Kirche - die höchstgelegene im Bistum Passau und im Bayerischen Wald, wie auf der Tafel zu lesen ist.

Von Alois Pauli

Leopoldsreut. Wer eine Großmutter hat, die so gut erzählen kann wie Stilla Moritz, und ein Enkel ist, der die Schätze erkennt, die dahinter stecken, dann kann ein historisches Zeitdokument von großem Wert entstehen. Der Enkel, das ist der 25-jährige Theologiestudent Peter Reichardt aus Hinterschmiding. Und der hat seine Oma erzählen lassen. Aber nicht von irgendetwas, sondern vom Leben in ihrem Geburtsort Leopoldsreut, dem verlassenen Dorf zwischen Bischofsreut und Obergrainet. Einem Ort, 1008 Meter über dem gelegen, der am besten so charakterisierte wird: "A dreiviertl Jahr Winter, a viertel Jahr koit, so ist das Wetter im Woid." Das gilt natürlich nicht für alle Gebiete im "Woid", jedoch bestimmt für Leopoldsreut. Eben dieses unwirtliche Klima und zudem der wirtschaftliche Niedergang sind die Hauptgründe, warum im Jahre 1963 die letzten Häuser des Dorfes - bis auf die Kirche und das Schulhaus - abgerissen wurden. "Er hat mich erzählen lassen, der Peter, und ich hab's am Anfang gar nicht gemerkt, dass er mich dabei gefilmt hat", berichtet schmunzelnd die 80-jährige Dame. Damals war Filmmaterial mit einer Laufzeit von fünf Stunden herausgekommen, über das s die PNP bereits ausführlich berichtet hatte (Ausgabe vom 19. Januar). Jetzt hat Peter Reichardt das Material überarbeitet und einen 90-Minuten-Film daraus gemacht. Er ist der Großmutter zum 80. Geburtstag gewidmet. Entstanden ist ein sehr persönliches Dokument, in dem der Autor aber immer wieder mit leichter Hand die Geschichte von Leopoldsreut mit einfließen lässt. Als Premierenort des Filmes mit dem Titel "Leopoldsreut - die Geschichte eines untergegangenen Dorfes im Bayerischen Wald" hatte man sich für den Originalschauplatz entschieden. "Das ist sicherlich die erste Kinovorführung hier", bemerkte Erich Dorner vom Kulturlandschaftsmuseum (KuLaMu), der zusammen mit seinen Helfern die Veranstaltung auf die Beine gestellt hat. Und das ließ sich sehen: Auf einer Wiese neben der Kirche und dem Schulhaus von Leopoldsreut wurde eine großformatige Leinwand aufgestellt, davor Bänke und Stühle für die Besucher. Wie sich bald herausstellen sollte, zu wenige. Denn Dorner konnte rund 250 Gäste willkommen heißen, die mit einem Pendelbus oder zu Fuß von Bischofsreut oder Obergrainet gekommen waren. Unter ihnen waren MdL Dr. Gerhard Waschler, Bürgermeister Fritz Gibis, stellv. Landrätin Renate Cerny und Pfarrer Alois Kaiser. Die Veranstaltung wurde von der Gruppe "Hurraxdax" aus Hinterschmiding musikalisch begleitet. Für das leibliche Wohl war an Ständen mit typisch bayerischer Brotzeit und Getränken bestens gesorgt. Als nach 20 Uhr der Wind auffrischte und die Nacht über die Baumwipfel hereinkam, begann die Vorführung. Neben der Dunkelheit verbreitete die gänzliche Abgeschiedenheit, das leise Rauschen des Windes in den Ästen der Bäume und die düstere Waldkulisse eine Art von Stimmung, wie sie nur bei einer Veranstaltung in dieser Umgebung aufkommen kann.
Die Dokumentation - bestehend aus den Erinnerungen von Stilla Moritz, ihrem Ehemann Ludwig und anderen Zeitzeugen sowie vielen historischen Fotos aus der Leopoldsreuter Vergangenheit - stellte Reichhardt hauptsächlich deshalb in überarbeiteter Form zusammen, weil er von vielen Leuten dazu ermuntert wurde. Ferner hätten ihn Nachfahren von Menschen, deren Wurzeln in Leopoldsreut liegen, dazu angeregt. Ein weiterer Grund ist, dass es viele Leute gibt, die irgendeinen Bezug zu dem Ort haben, und seien es nur Wanderer, die gern in der St. Nepomuk-Kirche stille Einkehr halten. Außerdem werden die Menschen, die noch in Leopoldsreut gelebt hätten, leider immer weniger. Vor kurzem, so bedauerte Reichart, sei die letzte Lehrerin Elfriede Tausch gestorben. Sie habe von 1945 bis zur Schließung der Schule im Jahre 1954 dort unterrichtet. Bei der Schilderung der schweren Feldarbeit mit Ochsen- und Kuhgespann wurde Emerenz Meier mit der gesungenen ersten Strophe ihres Gedichtes "Wödaschwüln" in dem Film ein Denkmal gesetzt. Denn was könnte die Mühsal der damaligen Bewohner besser ausdrücken als diese Verse: Mi würgt der Wind, mi druckt der Tag - Hü, meine Öchsl, hü! Schwül wirds, es kimmt a Wödaschlag. Hü, meine Öchsl, hü! Der Acker hat an hirtn Bodn, Der Mähnt koan Gang, der Pfluag an Schodn - Hü, meine Öchsl, hü! (Mähnt bedeutet Gespann)

Noch war es heller Tag und die Firmvorführung hatte noch nicht begonnen, da sammelten sich schon viele Zuschauer vor der großen Leinwand auf der Hochfläche von Leopoldsreut. - Fotos: A. Pauli.

Damit das Andenken an die "Sandhäuser", wie Leopoldsreut im Volksmund wegen des Quarzsand-Vorkommens genannt wird, bestehen bleibt, hat Reichardt noch andere Pläne. Denn mittlerweile besitzt er an die 100 Anschriften in Form von E-Mails oder Postadressen von Leuten, die irgendeinen Bezug zu dem Ort haben. Seine Absicht ist es, diese von Zeit zu Zeit zusammen zu bringen. Eine günstige Gelegenheit bietet sich seiner Ansicht nach bei den alljährlichen Messen der Waldvereine Grainet und Herzogsreut in der Nepomuk-Kirche. Jedenfalls will er in diese Richtung weiter forschen und zur gegebenen Zeit darauf zurückkommen. Der Goldene Steig, an dem Leopoldsreut liegt, wurde im Jahre 1010 erstmals urkundlich erwähnt. Die anstehende 1000-Jahr-Feier will der KuLaMu-Förderverein im Jahre 2010 mit einem großen kulturellen Programm ausgiebig zur Geltung bringen. Angedacht ist ein historisches Festspiel auf dem Areal der ehemaligen Ortschaft. Rund 100 Laiendarsteller aus Bischofsreut und Umgebung werden die wechselvolle Geschichte des "verlassenen Dorfes" in einer Theaterinszenierung darstellen. Dieses Schauspiel soll in regelmäßigen Abständen wiederaufgeführt und damit zu einem festen kulturellen Bestandteil des Bayerischen Waldes werden.

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